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Wir sind der Verein – Interview mit Sportjournalistin und Autorin Alina Schwermer

Alina Schwermer hat Journalistik studiert und ist freie Journalistin u.a. bei der taz. Im Jahr 2018 veröffentlichte sie ihr Buch „Wir sind der Verein“ in dem sie neun mitgliedergeführte Vereine von Deutschland bis Israel und von der Bundesliga bis in die Bezirksliga vorstellt. In den verschiedenen Kapitel beschreibt sie unterschiedlichste Herangehensweisen, wie fangeführte Klubs den Fußball verändern wollen. Für 12terMann.at stellte sie sich für ein Interview zur Verfügung und spricht über ihre Erlebnisse während der Recherchen und die Grenzen der Demokratie in unserem aktuellen Fußballsystem.

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12terMann.at: Wie bist du zum Fußball gekommen? Und wie würdest du deine Beziehung zu diesem Sport beschreiben?

Alina Schwermer: Ganz klassisch als Kind über die Männer-WM 2002. Das erste Spiel war, glaube ich, dieses schräge 8:0 der deutschen Nationalelf gegen Saudi-Arabien. Für mich war das, als hätte der Fußball immer auf mich gewartet. Dann hat meine Mama mich glaubhaft überzeugt, dass die Nationalelf nur ein paar Mal im Jahr spielt, und so wurde ich Bayern-Fan, das Personal war ja ungefähr dasselbe. Lange Zeit war Fußball wirklich ein heftiger Bestandteil in meinem Leben, aktiv spielen, Dauerkarte, und jeden Urlaub stolz meine Bundesliga-Papptabelle mitgeschleppt. Heute ist das eher abgekühlt. Ich habe andere Sachen für mich entdeckt und fühle mich eher distanziert von dem Zirkus. Nicht so kulturpessimistisch, vor zwanzig Jahren wars ja auch nicht besser, mehr ermüdet davon. Obwohl ich eigentlich dachte, als Bayern-Fan bringt man Zynismus von Haus mit.     

 

Was hat dich bewogen, ein Buch über mitgliedergeführte Vereine bzw. Fanvereine zu schreiben?

Eigentlich war das ja gar nicht als Buch geplant. Ich hatte ein Stipendium zu einem sportlich-gesellschaftlichen Thema, und hatte das Thema relativ willkürlich gewählt. Fan-Demokratie wird oft verherrlicht oder verteufelt, und ich finde, es ist wichtig, mit so einer kritischen Empathie zu gucken: Unter welchen Umständen funktioniert das, unter welchen nicht? Es war so vielfältig, und so entstand irgendwie ein Buch draus. Es war also eher ein Buch aus Versehen. 

 

Wie ist es, ein Buch zu schreiben? Wie fühlt es sich an wenn es veröffentlicht wird und man sein Werk zum ersten Mal in einem Buchladen oder einem Online-Shop sieht?

Ach, damals bin ich total unbedarft da ran gegangen. Ich dachte: das liest doch kein Mensch. Als dann Interviews und Lesungen kamen, Lob und auch Kritik, war ich ehrlich nicht darauf vorbereitet. Mittlerweile finde ich es ganz lustig. Aber ich würde das Buch immer noch nicht freiwillig aufschlagen, weil ich dann sofort denke: oh Gott, was hast du dir bei dem Satz gedacht?  

 

Wie hat sich die Recherche gestaltet? Und nach welchen Kriterien hast du die Vereine ausgewählt, die du in deinem Buch portraitiert hast? 

Die Recherchereisen waren sehr beeindruckend. Ich habe fast alle Vereine vor Ort besucht. In Israel fand ein Spiel quasi in der Wüste statt, mit unheimlich lautem Fan-Support vor dieser stillen Kulisse, das war surreal. In Telford war ich zufällig bei einer Mitgliederversammlung dabei, wo es um den Ausverkauf des Fanvereins ging, und überrascht, wie viel Hingabe trotzdem da war. Im spanischen Murcia fand die Mitgliederversammlung kurioserweise in einem Shoppingcenter statt. Überall waren die Leute sehr offen mit ihren Erfahrungen. Die Vereine sind so als Puzzle-Fragmente gewählt, um eine große Bandbreite zu zeigen. Sportlich sehr erfolgreiche Klubs wie der AFC Wimbledon und Bezirksligisten wie der HFC Falke, klassische mitgliedergeführte Klubs wie Schalke und solche wie der NK Zagreb 041, wo alles im Plenum entschieden wurde. Länder von England bis Israel. Und kleine, sehr unbekannte Klubs. Aber natürlich ist dieses Wort Fanverein auch ein Stück weit konstruiert, der Übergang zum mitgliedergeführten Verein ist ja fließend. Ich habe mich vor allem auf Neugründungen durch Fans konzentriert.

 

Ein Problem, das sich bei vielen der vorgestellten Vereine wie ein roter Faden durchzieht ist die berühmte „gläserne Decke“. Je höher ein Verein im Ligasystem aufsteigt, umso schwerer lassen sich die ursprünglichen Ziele wie Basisdemokratie und Mitbestimmung umsetzen. Muss sich ein Fanverein irgendwann zwischen Idealen und sportlichem Erfolg entscheiden?

Im aktuellen System, ja. Dann hast du Oligarchen-Klubs als Konkurrenten, die mit Millionen bezuschusst werden, und wenn größere Sponsoren ins Boot kommen, wollen sie auch was zu sagen haben. Mit kapitalistischem Fußball ist direkte Demokratie im Fanverein ab einer bestimmten Ebene nicht mehr vereinbar. Eine gewisses Gehörtwerden kann im Fußballkapitalismus funktionieren, aber da hat die Masse der Mitglieder keinen strategischen Einfluss mehr auf die Vereinspolitik. Das Label „mitgliedergeführt“ ist ganz oben meist ein Witz. Im Frauenfußball trägt das Konzept finanziell noch eher, einige Fanvereine haben ja auch sehr erfolgreiche Frauenteams. Und es gibt ganz praktische Probleme mit Basisdemokratie. In den unteren Amateurligen kannst du, wie ein Austria-Funktionär meinte, eigentlich nicht viel falsch machen. Aber je höher du kommst, mit umso höheren Beträgen hantierst du, umso komplexer werden die Anforderungen an die handelnden Personen. Da kannst du auch einfach nicht 4.000 Leute zu jedem Thema abstimmen lassen, weil die gar nicht ausreichend eingearbeitet sind.  

 

Manche Vereine wurden als Protest gegen die Kommerzialisierung gegründet. Gerade in den unteren Klassen sind es aber dann just diese Fanvereine, die durch hohe Zuschauerzahlen und viel Aufmerksamkeit von Medien und Sponsoren deutlich mehr Budget als ihre Konkurrenten haben. Ist das nicht ein Widerspruch in sich?

Jein. Das muss man differenzieren. Der Kernunterschied ist natürlich, dass die Macht bei den Vielen liegt, nicht bei einem Konzern. Kommerzialisierung ist ein sehr unscharfer Begriff, der diese Unterschiede nicht wirklich abbildet. Solche Vereine haben zwar mehr Geld zur Verfügung als die Konkurrenz, aber mitunter sehr progressive Strukturen. Teilweise auch nicht, es gibt ja auch sehr konventionelle Beispiele, oder solche, wo einzelne Gruppen und Personen zu viel Macht haben. Richtig ist, dass ein richtiges Leben im falschen im Fußball nur begrenzt funktioniert. Ein HFC Falke-Vertreter meinte sinngemäß: Erst willst du alles anders machen. Dann merkst du, dass man in diesem System so viel gar nicht anders machen kann. Und dann freust du dich, doch ein kleines bisschen anders zu sein.   

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Oft entsteht der Eindruck, dass das Umfeld von Fanvereinen (Organisation, Aufbau, Infrastruktur) nicht mit dem meist rasanten sportlichen Aufstieg mithalten kann. Wie waren deine Erfahrungen zu diesem Thema?

Einige Vereine schaffen das. Wie der AFC Wimbledon, die haben ihre Strukturen recht erfolgreich angepasst. Ein Problem gab es vor allem in Salzburg und in Telford, wo Teile der Fans schneller und höher hinaus wollten, als für den Verein strukturell machbar war. Dieses Hauruck-Aufsteigen bei strukturellen Defiziten ist aber kein spezifisches Problem von Fanvereinen, sondern ja Alltag im Männerfußball. Viele Vereine bekommen auch über die Jahre Schwierigkeiten, Freiwillige zu mobilisieren, sind aber sehr abhängig vom Ehrenamt, das kann Fanvereine besonders betreffen. Es ist deshalb unheimlich wichtig, eine breite Struktur aufzubauen, wie viele das auch tun: Nachwuchsteams, Frauenteams, soziales und politisches Engagement oder sinnstiftende Projekte, also ein Fundament mit Bindung zum eigenen Viertel. Manchmal reicht auch das nicht, weil die Voraussetzungen am Standort einfach zu ungünstig sind. Aber es hilft. Wenn ich als Verein nur versuche, die erste Herrenmannschaft wieder nach oben zu prügeln, habe ich bald ein Problem.

 

Für Österreicher ist natürlich das Kapitel über Austria Salzburg besonders interessant. Ist ein Verein, der sich fast hauptsächlich über ein gemeinsames Feindbild definiert, irgendwann zum Scheitern verurteilt?

Ich glaube, es limitiert dich halt total. Irgendwann musst du eine eigene Identität entwickeln, die nicht nur aus Abgrenzung von etwas anderem besteht. Zumindest damals hatte nicht jeder das Gefühl, dass das ausreichend passiert. Als ich in Salzburg war, gab es ein Konglumerat von Kontroversen: das ewige Reiben an Red Bull, die Frage, ob man bürgerlicher werden soll, fehlende Sponsoren, schwierige Voraussetzungen in der Stadt und den umstrittenen Einfluss der Fangruppe Tough Guys. Dann noch die finanziellen Probleme. Man reibt sich dann innerlich auf. Und das Feindbild Red Bull wird unpolitisch, wenn Aspekte wie traditionelle Farben und das Wappen in den Vordergrund treten. Solche Dinge sind für viele Fans sehr identitätsstiftend, aber das Hauptproblem an Red Bull ist sicher nicht, dass sie keine lila Stutzen wollten.

 

Im Kapitel über Schalke 04 wird ein Fanvertreter zitiert, der schätzt dass von den damals 145.000 Vereinsmitgliedern ca. 1000 ein aufrichtiges Interesse an aktiver Mitbestimmung haben. Ist die Mitbestimmung im Verein auf Dauer etwas, das sowieso nur eine kleine „Elite“ interessiert?

Ja, das ist eine Beobachtung, die fast jeder Verein macht. Elite ist möglicherweise nicht das richtige Wort, denn mitmachen kann ja jeder und jede. Gleichzeitig sagen Demokratiestudien, dass vor allem und zunehmend Menschen aus prekären Verhältnissen ihr Recht auf Mitbestimmung nicht wahrnehmen. Damit wird Mitsprache dann doch elitär. Es ist auch spannend, dass die Anwesenheit bei Mitgliederversammlugen im Fanverein oft so verhältnismäßig gering ausgeprägt ist. Wo Leute ja aktiv zahlen, um mitbestimmen zu können. Offenbar sind Nähe, Gemeinschaft, kreatives Engagement und das Gefühl, hier als Fan ernst genommen zu werden, für die meisten wichtiger als aktive Vereinspolitik. Die populärsten Themen sind immer Preise für Tickets, Getränke und Imbisse und das Trikot-Design, also Dinge, die Menschen sehr konkret berühren oder das direkte Stadionerlebnis beeinflussen.

 

Verfolgst du die Entwicklungen bei den Vereinen, die du in deinem Buch behandelst, weiterhin? Hat sich bei einem von ihnen etwas Gravierendes geändert?

Ich hatte ursprünglich mal die Idee, eine Plattform aufzubauen, auf der sich zum Beispiel fangeführte, basisdemokratische oder selbstverwaltete Klubs austauschen und Meldungen posten können. Leider bin ich bisher nie dazu gekommen. Ich habe also nur den Wissensstand, den auch jede und jeder bei Wikipedia nachlesen kann. Es gab Auf- und Abstiege, aber alle Vereine bestehen weiter, und viele haben sich stabilisiert.     

 

Aktuell ist Corona natürlich ein Thema, das Vieles überlagert. Glaubst du dass die aktuelle Krise die Fanvereine schwächer oder stärker trifft, oder sind momentan alle Fußballvereine gleich?

Gleich sind Fußballvereine nie. Viele von Fans gegründete Vereine spielen ja im Halbprofi- oder Amateurbereich, und gerade den mittleren Bereich wird die Krise härter treffen, weil es kaum Fernsehgelder gibt und Geisterspiele einfach finanziell keine Option sind, aber trotzdem viele Kosten laufen. Gleichzeitig haben fangeführte Klubs oft eine große und treue Basis, die traditionell viel ins eigene Portemonnaie greift. Das ist ein finanzieller Vorteil im Vergleich zu gleichrangigen anderen Klubs, wo vielleicht ein Sponsor den größten Anteil zahlt, der nach der Krise wichtigere Probleme hat. Fanvereine und überhaupt Klubs mit großer Anhängerschaft sind in solchen Krisen strukturell stabiler und weniger anfällig.   

 

Welche Fußballthemen beschäftigen dich neben deiner täglichen Arbeit bei der taz am meisten?

Ich mag politische und gesellschaftliche Fußballthemen. Es lässt sich viel daran erzählen, sei es über Armut, Kooperation oder ein Stück Ostberliner Sportgeschichte.

 

Wie verfolgst du privat den Fußball, bist du regelmäßig in einem Stadion und bei welchen Vereinen fieberst du besonders mit?

Ich bin beruflich öfters im Stadion, privat ab und an mal bei Turbine Potsdam in der Frauen-Bundesliga. Aber eigentlich bin ich im Fußball sehr fernseh-sozialisiert. Als Bayern-Fan in Köln war das so, das bleibt hängen. Für mich persönlich war Fußball nie so ein soziales Ding. Ich mag es immer noch am liebsten, zu Hause zu sitzen und den Fernseher anzuschreien. 

 

Kannst du dir vorstellen, noch weitere Bücher zu schreiben? Gibt es ein Thema, zu dem du gerne noch einmal etwas veröffentlichen möchtest?

Ich schreibe gerade an einem Buch über Utopien für einen systemisch besseren Fußball. Also sinngemäß: Was würde es wirklich bewirken, wenn wir Forderungen wie Obergrenzen, Superliga oder Umverteilung umsetzen? Wie könnte Fußball auch völlig anders funktionieren, und was lässt sich von Systemen in Australien, Mexiko oder Malawi lernen? „Wir sind der Verein“ war quasi ein Blick mit der Lupe, das nächste Projekt ist ein weiterer Blick, auch wieder ein optimistischer. Es ist viel mehr möglich, als wir glauben. Es scheitert an fehlendem Bewusstsein und Machtstrukturen.

 

Das Interview führte Redakteur Matthias Riemer

Wir sind der Verein – Wie fangeführte Klubs den Fußball verändern wollen

Verlag Die Werkstatt, ISBN 978-3-7307-0387-8

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Matthias Riemer

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Matthias Riemer
(Redaktionsleitung/Frauenfußball)

Bei 12terMann seit: 12/2013

M: matthias.riemer@12termann.at

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