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Vom Catenaccio zum Hybrid-Fußball – Italiens beeindruckende Transformation

Gerade den historischen Aufstieg ins Achtelfinale der Europameisterschaft 2020 geschafft, steht Österreich der nächsten Herausforderung gegenüber. Der Gegner heißt Italien, eine Mannschaft, die problemlos durch ihre Gruppe spazierte. 3:0 gegen die Türkei, 3:0 gegen die Schweiz und 1:0 gegen Wales. Was besonders auffällt, ist die neu gefundene Offensivstärke der Azzurri.

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Wir haben den 13.11.2017, es ist 20:45 Uhr. Nach einer knappen 0:1-Hinspielniederlage in Stockholm hatte die italienische Fußballnationalmannschaft im heimischen Giuseppe-Meazza-Stadion in Mainland gegen Schweden einiges gut zu machen, wollte man sich noch für die Weltmeisterschaft in Russland im darauffolgenden Jahr qualifizieren. Knapp zwei Stunden später war aber Gewissheit: Erstmals seit 1954 fuhr der vierfache Weltmeister nicht zum größten internationalen Turnier. Uninspiriert, motivationslos und ohne jegliches Aufbäumen gegen die Nicht-Qualifikation ließ man die 72.696 Zuschauer im Stich. Italiens Fußball war am Boden. Man hatte keine fähigen Spieler und mit Gian Piero Ventura einen Trainer, der Vorgänger Antonio Conte in keinerlei Hinsicht ersetzen konnte. Unter diesem hatten die Italiener zumindest eine solide Europameisterchaft 2016 gespielt, nachdem ihnen davor bei zwei aufeinanderfolgenden Weltmeisterschaften breits das Aus in der Gruppenphase ereilte. Die Zeit des erfolgreichen Catenaccio-Fußballs, der so lange gnadenlos effektiv Erfolg einbrachte, war vorbei. Die Squadra Azzurra musste sich neu erfinden und einen Umbruch starten. 

Roberto Mancini übernahm das zerüttete Team am 14.Mai.2018. Der frühere Meistertrainer Manchester Citys, der die Citizens 2012 zum ersten Meistertitel in der Premier League führte, hatte damals ebenfalls Jahre der Erfolglosigkeit hinter sich. Nach dem Aus in Manchester unternahm er eine einjährige Odyssee in die Türkei zu Galatasaray Istanbul, ehe er 2014 erstmals nach Italien zurückkehrte. Dort scheiterte er beim Wiederaufbau seines alten Clubs Inter Mailands allerdings kläglich und musste danach wieder kleinere Brötchen in Russland backen. Den Glanz alter Tage fand Mancini aber auch bei Zenit St.Petersburg nicht, weswegen man den Vertrag auflöste.

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Selbst die ersten Spiele in der Nationalmannschaft verliefen holprig. Nach einem knappen Testspiel-Sieg zum Auftakt gegen Saudi-Arabien, setzte es gegen den späteren Weltmeister aus Frankreich eine 1:3-Niederlage. In der Nations League setzte es drei Monate später eine weitere Pleite gegen Portugal. Es sollte bis dato die letzte der Azzurri bleiben. Seitdem liest sich die Statistik wie ein Märchen: 30 Spiele, davon 25 Siege, fünf Remis und ein Torverhältnis von 81:7. In diesem Jahr ist Italien noch ohne Gegentor und hat die letzten elf Spiele allesamt gewonnen, ohne das Schlussmann Gianluigi Donnarumma hinter sich greifen musste. Das klingt so, als hätte Mancini den Defensivfußball, welchen man von Italien kennt, einfach wieder stabilisiert und hätte Erfolg damit. Ein Blick auf die geschossenen Tore zeigt aber, dass Italien mit im Schnitt 2,7 Toren pro Spiel die aktuell torgefährlichste Mannschaft Europas ist.

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Die exorbitanten Zahlen zeigen, dass die radikale Umstrukturierung im Kader Früchte trägt. Wenn man sich die Mannschaft von hinten anschaut, schaut es aber gar nicht so anders aus: Die Juventus Turin-Altmeister Leonardo Bonucci und Giorgio Chiellini sind nach wie vor feste Konstanten in der Innenverteidigung. AC Milan-Jungstar Donnarumma war schon lange der logische Nachfolger Gianluigi Buffons. Erst wenn man sich die restlichen Positionen anschaut, wird klar, wie sich die Mannschaft verändert hat. Zahlreiche junge Talente von heimischen Vereinen wie etwa Nicolò Barrella (Inter Mailand), Domenico Berardi oder der zuletzt gegen die Schweiz Doppeltorschütze Manuel Locatelli (beide US Sassuolo) sind international keine allzu bekannten Namen. Auch Leonardo Spinazzola (AS Rom) und Giovanni di Lorenzo (SSC Neapel) sind als Außenverteidiger einigen kein Begriff. Am ehesten als „Stars“ kann man noch Jorghino von FC Chelsea oder Lorenzo Insigne von Neapel und Torjäger Ciro Immobile von Lazio Rom bezeichnen. Doch selbst sie sind keine deklarierten „Unterschiedsspieler“.

Was macht Italien ohne absoluten Weltstar also so stark? Zum einen Mancinis taktische Einstellung. Anstatt großartig mit der Formation zu experementieren, belasst es der Trainer bei einem klassischen 4-3-3. Davon weicht er auch während eines Spiels kaum ab und jeder Spieler weiß genau, was er zu tun hat. Bei Ballbesitz rücken bis auf den Tormann alle kompromisslos nach vorne – Bonucci und Chiellini waren in den Vorrundenspielen teilweise Zehner – und bei Gegenangriffen helfen alle mit. Eine weitere Stärke ist der effektive Ballbesitzfußball, den sich Italien angeeignet hat. Sie spielen den Ball nicht wie beispielsweise Spanien ewig hin und her, sondern suchen immer den Weg nach vorne. Das kann bei kontergefährlichen Mannschaften schnell nach hinten losgehen, Italien scheint das Geschehen aber immer unter Kontrolle zu haben. Der wohl größte Trumpf der Italiener ist aber etwas, was diese Mannschaft immer auszeichnete und mit Mancini zurückkam: Leidenschaft. Die Nationalhymne wird entschlossen mitgesungen und danach konsequent am Platz abgeliefert. Italien hat seine verloren gegangene Siegermentalität wiedergefunden.

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Wie soll man eine Mannschaft, die seit drei Jahren nicht mehr verloren hat und so leichtfertig Spiele gewinnt also schlagen? Klar, Italien ist klarer Favorit und kein Team der Welt sollte sich schämen, gegen sie zu verlieren. Aber wie Franco Foda nach dem Ukraine-Spiel sagte: „Mit dieser Einstellung können wir auch Italien vor Probleme stellen.“ Schafft Österreich es, die Leistung zu wiederholen, ist nichts unmöglich. Auch wenn es gegen eine Azzurri, die aktuell ohne Schwächen spielt, sehr schwer wird.

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