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Das Kreuz mit dem EURO-Modus

Willst du mit mir gehen? JA – NEIN – VIELLEICHT (Bitte nur eines ankreuzen)! An solche Briefchen aus der Schulzeit werden sich während der EURO 2020 auch einige Spieler, Funktionäre und Fans zurückerinnert fühlen. Dank des aktuellen Modus mit 24 teilnehmenden Mannschaften heißt es für manche Nationalteams „bitte warten“. Obwohl sie ihre drei Vorrundenpartien schon absolviert haben, wissen sie noch nicht ob sie im Turnier bleiben und falls ja, gegen wen es im Achtelfinale weitergeht.

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Im Jahr 2007 beschloss die UEFA, das Teilnehmerfeld der Europameisterschaft von bisher 16 Teams auf 24 Teams aufzustocken. Durch diese Änderung wollte der damalige UEFA-Boss Michel Platini den kleineren Nationen mehr Chancen für eine Qualifikation bieten. Das diese kleineren Nationen ihm mit ihren Stimmen zur Wiederwahl verhalfen war ein natürlich ein (für Platini) positiver, aber absolut nicht damit zusammenhängender Effekt (*sarkastisches Räuspern*). Diese Entscheidung zog jedoch einen ganzen Rattenschwanz an Folgeerscheinungen nach sich, die wir hier kurz beleuchten wollen.

Der Austragungsort

Eine Endrunde mit 16 Mannschaften war auch für kleinere Nationen bzw. länderüberschreitende Bewerbungen eine Aufgabe, die machbar ist. Von 1996 bis 2012 wurden die Titelkämpfe mit dieser Teilnehmeranzahl in England, Belgien/Niederlande, Portugal, Österreich/Schweiz und Polen/Ukraine ausgetragen. Acht entsprechende Stadien (bzw. vier im Falle von zwei Austragungsorten) waren für diese Länder passend. Doch durch die Aufstockung stiegen die Mindestanforderungen deutlich. Mindestens neun Stadien, davon mindestens fünf mit einer Kapazität über 40.000 Zusehern wären für gemeinsame Bewerbung wie von Österreich und der Schweiz nicht mehr machbar. Und selbst wenn stellt sich nach dem Großereignis die Frage nach einer sinnvollen Nachnutzung (nachzufragen bei den WM-Ausrichtern Südafrika oder Brasilien). Neben den Stadien ist noch viel andere Infrastruktur wie Flughäfen, öffentlicher Transport, etc. erforderlich. Es bleiben entweder nur die Großen als Ausrichter übrig, wie Frankreich 2016 oder Deutschland 2024 oder es gibt gemeinsame Bewerbungen von mehreren Ländern. So stehen eine Balkan-Bewerbung (Serbien, Griechenland, Rumänien, Bulgarien) oder eine Nordeuropa-Bewerbung (Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland) für 2028 im Raum. Grundsätzlich eine gute Idee, wobei sich hier dann die Frage nach der Qualifikation der Gastgeber aufdrängt. Bis auf die aktuelle Endrunde waren der oder die Gastgeber immer fix qualifiziert. Wenn sich eine 4-Nationen-Bewerbung durchsetzt, sind dann alle vier fix dabei? Der Traum einer WM-Ausrichtung ist für eine kleine Nation schon länger gestorben (außer man ist ein Emirat am persischen Golf), nun rückt auch eine Europameisterschaft im eigenen Land in immer weitere Ferne.

Der Modus

24 Teams qualifizieren sich für die Endrunde und werden in sechs Gruppen mit jeweils vier Mannschaften gelost. Um ein Achtelfinale austragen zu können, muss man aus diesen 24 Teams also irgendwie 16 Teilnehmer herausfiltern. Wie bei anderen Turnieren oder den verschiedenen Vereinsbewerben kommen die Gruppensieger und Gruppenzweiten weiter. Nun fehlen aber noch vier Teilnehmer, woher nehmen und nicht stehlen? Die UEFA hat sich entschieden, die vier besten Gruppendritten ebenfalls mit einem Ticket für das Achtelfinale zu belohnen. Diese vier besten Gruppendritten stehen im blödesten Fall allerdings erst nach dem letzten Gruppenspiel fest. Die Ukraine spielte am Montag gegen Österreich, verlor mit 0:1 und schloss die Gruppe auf den dritten Platz ab. Erst mit dem Abschluss von Gruppe E (Schweden, Spanien, Slowakei, Polen) wusste die Ukraine, das sie im Achtelfinale dabei ist – 48 Stunden nachdem das eigene Spiel beendet war! Und gegen wen das Team spielen muss ist erst fix, wenn mit Gruppe F auch die letzte Vorrundengruppe gespielt ist. Die Ukrainer wissen auch erst dann mit Gewissheit, ob sie am 28. Juni in Bukarest oder am 29. Juni in Glasgow spielen werden. 

Österreich qualifizierte sich als Gruppenzweiter zwar ohne Umwege für die KO-Runde, fiel aber auch nicht gerade auf die Butterseite. Obwohl das Nationalteam mit 6 Punkten sicher einer der zwei besten Gruppenzweiten ist, muss man im Achtelfinale mit Italien gegen einen der absoluten Turnier-Favoriten antreten. Dänemark hingegen das mit nur 3 Punkten Gruppenzweiter wurde, trifft im Achtelfinale auf Wales, das seine Gruppe mit 4 Punkten als ebenfalls Zweiter abschloss. Man sieht an den beiden Beispielen also deutlich, das der aktuelle Modus alles andere als fair ist.

Änderungen?

Was kann man also ändern? Ein „Rückbau“ auf 16 Teilnehmer wie bis 2012 wäre die einfachste Variante. Die Gruppensieger steigen ins Viertelfinale auf und spielen dort gegen einen Gruppenzweiten, die sich ebenfalls qualifizieren, für die Dritten und Vierten ist das Turnier vorbei. Ganz einfach, simpel und für jeden nachvollziehbar. Bei 16 Teilnehmern ist es zwar schwieriger sich zu qualifizieren, aber auch für kleinere Nationen immer möglich (Schweiz 1996, Norwegen und Slowenien 2000, Lettland 2004). Aktuell hat die UEFA 55 Mitglieder von denen sich 24 für die Endrunde qualifizieren, also beinahe die Hälfte (43 % um genau zu sein). Ob die UEFA allerdings das Teilnehmerfeld verkleinert, ist mehr als fraglich.

Wenn man mit 24 Teams weiterspielt gibt es auch verschiedene Varianten. Eine wäre eine Reihung der Gruppenzweiten: Die Gruppensieger und die zwei besten Gruppenzweiten sind im Achtelfinale „gesetzt“ und spielen gegen die vier restlichen Gruppenzweiten und die vier besten Gruppendritten. Der Schwachpunkt an dieser Lösung ist allerdings, das damit noch mehr Variablen ins Spiel kommen. Eine andere Möglichkeit wäre es, die Teams in vier Gruppen mit jeweils 6 Teilnehmern aufzuteilen, die vier Gruppensieger und Gruppenzweiten würden dann gleich im Viertelfinale weitermachen. So hätten alle Teilnehmer auch zumindest fünf Gruppenspiele. Das würde aber den Überraschungseffekt etwas aus dem Turnier nehmen, da in fünf Spielen ein verpatztes Spiel weniger ins Gewicht fällt als bei drei Partien und sich so die Favoriten wohl eher durchsetzen werden.

Alles in Allem bleibt also festzuhalten, das der aktuelle Modus der Europameisterschaft alles andere als ausgereift und fair ist, eine Änderung, die sich viele Fans wünschen, wird es aber leider kaum geben.

 

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Matthias Riemer

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Matthias Riemer
(Redaktionsleitung/Frauenfußball)

Bei 12terMann seit: 12/2013

M: matthias.riemer@12termann.at

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