Italien

Interview mit Robert Gucher

Über die Serie A und die Tifosi

Das heißt, dass es in naher Zukunft auf den Tribünen in Italien nicht ähnlich zugehen wird, wie es jetzt beispielsweise in England der Fall ist?

Ihr sagt es. Die Fans in Italien sind eigen. Ist man als Team oben auf, dann tragen sie dich – wie ich vorher schon erwähnt habe – auf den Händen durch die Stadt. Wenn es hingegen schlecht läuft, dann kann es schon mal vorkommen, dass du von Fans auf der Straße empfangen wirst oder dein Auto demoliert wird. Auch ich habe solche Situationen leider schon miterlebt – einmal hatten wir nach einer Auswärtsniederlage noch eine vierstündige Busfahrt vor uns. Plötzlich läuteten unsere Handys und uns wurde mitgeteilt, dass unsere Autos gerade zerstört werden. In Italien gibt es in der Fanszene nur Extrembeispiele im positiven wie im negativen Sinn, einen Mittelweg, den kennen die Tifosi nicht.

 

…, dann kann es schon mal vorkommen, dass du von Fans auf der Straße empfangen wirst oder dein Auto demoliert wird

 

Du stehst mittlerweile seit knapp sieben Jahren bei italienischen Vereinen unter Vertrag, wirst auch von den Fans schon als Italiener aufgenommen. Unterbrochen wurde diese Zeit lediglich durch eine 1 ½ Jahre andauernde Leihe zum SV Kapfenberg. Hand auf Herz, wo steht aus deiner Sicht der österreichische Fußball im Vergleich zum italienischen?

Für mich ist diese Frage sehr schwer zu beantworten, ich glaube, dass da zwei komplett andere Fußballkulturen und Mentalitäten aufeinandertreffen und ein Vergleich somit nicht wirklich zulässig ist. Die österreichische Liga ist ja nicht schlecht, sie wird nur einfach gerne schlecht gemacht. Möglicherwiese liegt hierfür die Schuld am Umfeld. Red Bull Salzburg beispielsweise hat in der Europa League Lazio Rom zweimal besiegt, man sieht, österreichs Vereine können durchaus mithalten. Ob das natürlich über eine komplette Saison möglich wäre, das steht auf einem anderen Blatt Papier. Prinzipiell wird in beiden ersten Ligen kein schlechter Fußball geboten, auch der totgesagte italienische Fußball hat sich wieder erholt und heuer in der Champions League und Europa League groß aufgezeigt.

Der größte Unterschied zwischen den beiden Ligen ist vielleicht jener, dass es in Österreich viermal pro Saison gegen den gleichen Gegner geht – das ist dann eine Kopfsache, dass man sich da jedes Mal aufs Neue motivieren kann. In Italien spielst du in einer Woche gegen Juve, dann in der nächsten gegen Chievo Verona wo es womöglich gegen den Abstieg geht, das sind alles Endspiele und da kann man sich auch besser motivieren.

In Italien findet aber mittlerweile fußballtechnisch ein Umdenken statt, da es viele junge Trainer gibt, die eine andere Mentalität haben und denen auch die Möglichkeiten gegeben werden, dass sie etwas aufbauen. 

 

Du hast eben angesprochen, dass ein Umdenken im italienischen Fußball stattfindet. Früher hatte der italienische Fußball einerseits oftmals den Ruf, dass sich die Spieler bei jeder Berührung fallen lassen und einen sterbenden Schwan mimen, andererseits kommt einem beim italienischen Fußball das Wort Catenaccio in den Sinn. Wird von diesem System jetzt wieder komplett abgewichen?

Ja, das ist richtig. Meine Jahre in der Serie C haben mich beispielsweise weiter nach vorne gebracht – ich war immer ein Fußballer, der viel wert auf das spielerische gelegt hat, doch damit konnte man in der Serie C wenig anfangen. Dort wird wenig Fußball gespielt, da gehts zumeist nur um die zweiten Bälle, eher mehr Kampf und Krampf. Aber dadurch wird man als Kicker reifer, ich habe beispielsweise in der Serie C pro Spiel etwa 20 Balleroberungen gehabt. Das war früher nie mein Spielstil, doch dadurch bin ich vielseiter geworden, kann jetzt mal ein Spiel lenken und im nächsten Moment wenn nötig auch mal zweite Bälle erobern.

 

Die italienische Serie A hatte in den letzten Jahren vermehrt den Ruf einer – böse ausgedrückt – Rentnerliga, das Durchschnittsalter der Seria A-Kicker der Saison 2014/2015 lag bei etwas über 27 Jahren. Heuer wurde beispielsweise Luca Toni mit 38 Jahren Torschützenkönig. Fehlt es dem italienischen Fußball an qualitativ hochwertigen jungen Kickern, oder werden Sie aus deiner Sicht zu wenig gefördert?

In Italien herrscht im Klubfußball kaum Konstanz, da wird oftmals alle zwei Wochen der Trainer gewechselt oder die Führungsetage ausgetauscht. Jedes Mal muss dann bei Null begonnen werden und darunter leiden auch die junge Kicker. Zusätzlich hängt vieles auch mit den Fans zusammen: wenn ich als Team jetzt einen 18-jährigen Stürmer im Team habe und gleichzeitig noch beispielsweise der Luca Toni bei mir unter Vertrag steht, dann wird der Fan beruhigter sein, wenn der erfahrene Toni stürmt. Wenn der dann die Tore nicht schießt, dann kann der Verein sagen, dass er den Luca Toni eh hat spielen lassen, aber der halt einfach keine Tore geschossen hat und man da nichts machen kann. Wie will man aber positiv argumentieren, wenn ein 18-Jähriger längere Zeit nicht ins gegnerische Tor trifft? Natürlich muss man in der Serie A auf die Namen schauen, gerade bei den Topteams. Der Druck von Außen erschwert die Sache in Italien mit Sicherheit und sehr viele Präsidenten trauen sich aus diesem Grund nicht, dass sie jungen Talenten die Chance geben. Bei uns in Frosinone ist das genau anders rum – der Präsident will mit jungen und hungrigen Spielern arbeiten. Klar, bei uns ist es leichter, da du den Druck von Außen nicht so sehr spürst.

Christian Semmelrock

 

Christian SEMMELROCK
(Redaktion / Charity)

Bei 12terMann seit: 11/2013

M: christian.semmelrock@12terMann.at

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